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Neuinterpretation der Historie

31. August 2021

Eine der ältesten Straßen von Hamburg ist die „Palmaille“, deren Geschichte bis ins Jahr 1638 zurückreicht. Seit Ende des 18. Jahrhunderts entstanden hier einige repräsentative Gebäude, die die Atmosphäre der Gegend hier bis heute prägen. In dieser Umgebung plante der Architekt Walter Gebhardt ein Wohnhaus mit Bürofläche, das die Bauten an diesem Ort neu und zeitgemäß interpretiert.


Von Thomas Geuder | Der Raumjournalist




In einer schmalen Baulücke in der Palmaille, eine der ältesten Straßen Hamburgs, ist ein großzügiges Wohnhaus mit Bürofläche entstanden, das die historischen Vorgaben des Ortes zeitgenössisch zu interpretieren sucht.


Angelegt wurde die Palmaille vom damaligen Landesherrn auf dem Elbhang zwischen Altona und der Vogtei Ottensen, um dort das damals sehr beliebte und dem Croquet verwandte italienische Ballspiel „Palla di maglio“ (Paille-Maille) spielen zu können. Die Prachtbauten aus der späteren Zeit haben im Grunde die gestalterische Basis dafür gelegt, was sogar in einer Verordnung aus dem Jahr 1952 festgelegt ist: „Für die baupflegerische Gestaltung der Palmaille dient auf der Nordseite der auf den Grundstücken Haus-Nr. 100–124 noch erhaltene historische Teil als architektonischer Maßstab.“ Daran hat sich auch der Architekt Walter Gebhardt gehalten, als er ein hier einen Neubau plante. Vorbild für seinen Entwurf war das nur wenig von der Baulücke entfernte „Einfensterhaus“ aus dem Jahr 1803, die private Residenz des dänischen Architekten von Christian Frederik Hansen (1756-1845), dessen klassizistischer Baustil die Architektur in Nordeuropa damals geprägt hat. Die Ansicht des Neubaus ist geprägt von einem scheinbar überdimensionierten Eingangsportal mit einer großen, schaufensterartigen Öffnung im oberen Geschoss. Darüber lugt ein Dachgeschoss hervor, auf dessen Glasflächen sich der Himmel malerisch spiegelt.

 

 


Der Denkmalschutz hat ein Satteldach gefordert, was der Architekt Walter Gebhardt teilweise als Glasdach gestaltet hat (im Hintergrund.)


Drei Bereiche im Innenraum
Das Erdgeschoss dient der technischen und verkehrlichen Erschließung, mit Auto-Stellplätzen und Zugang zum Treppenhaus. Die Büroräumlichkeiten im ersten Obergeschoss werden vermietet. Die Wohnung darüber erstreckt sich über zwei räumlich miteinander verknüpfte Geschosse, wobei das „Einfenster“ im unteren der beiden sowohl den Blick auf die Elbe mit Hafenanlagen im Hintergrund freigibt als auch als Möbel mit hoher Aufenthaltsqualität nutzbar ist. Mittelpunkt der Wohnung ist ein fünf Meter hoher Wohnbereich mit einer Zeilenküche und einem scheinbar schwebenden Esstisch. Die nach Norden ausgerichtete, komplett aus Glas bestehende Rückwand, durch die viel Licht in den Innenraum gelangt, ist als raumhohe Glasschiebetür ausgebildet, durch die man auf die großzügige, nach Westen orientierte Dachterrasse gelangt.

 


Das große „Einfenster“, das sich über dem Eingangsportal befindet, bietet einen weitläufigen Blick auf die Elbe und ist gleichzeitig als Möbel nutzbar.

 


Der zentrale Wohnbereich liegt im fünf Meter hohen 2. Obergeschoss und im Dachgeschoss, von wo aus man durch eine raumhohe Glasschiebetür zu einer großzügigen Dachterrasse belangt. 


Reduziert und hochwertig

Das Materialkonzept im Gebäude folgt dem Prinzip der Reduktion, wobei laut Entwurf die Oberflächen weitgehend natürlich gehalten und ein Altern in Würde zugelassen werden sollte. So besteht die Fassade aus Sichtbeton, die Böden und Erschließungswege sind mit einer individuellen, sandfarbenen Terrazzo-Mischung, die Oberflächen der Wände und Decken wiederum mit einem feinen Edelputz versehen. Ergänzt werden sie durch Nussbaumholz für die verschiedenen Einbauten und Türen. Auch die Decke im großen Wohnbereich ist mit einer elegant geschwungenen, akustisch wirksamen Lamellendecke ebenfalls aus Nussbaum verkleidet.



Hochwertige, elegant reduziert ausgeführte Materialien sorgen ganz im hanseatischen Sinne für eine zurückhaltend formulierte Noblesse.

 

 

Elegantes Raumwunder

Um den räumlichen Bezug nach außen zu maximieren, mussten der Architekt Walter Gebhard und die Innenarchitektin Nicole Stammer mitunter ungewöhnliche Wege gehen: „Das Layout des Hauptbades ist beim Waschen, Duschen und Baden auf den Blick in den Grünraum hin ausgelegt“, erläutert Gebhardt. So ist etwa das nur 1,50 m breite Bad in die Bereiche „Hauptbad“, mit Dusche und Waschtisch, und „Ruhebad“, mit der Wanne direkt vor der Fensterfront, eingeteilt. Voneinander getrennt sind die Flächen durch die Querstellung eines individuell gefertigten Waschtischmöbels. Die Heizung, Kühlung und Warmwasserbereitung erfolgen durch eine Sole-Wasser-Wärmepumpe, die ihre Wärmeenergie von einer Geothermie-Anlage hinter dem Haus erhält. Eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach deckt 25 % des elektrischen Energiebedarfs, die Lüftungsanlage ist mit Wärmerückgewinnung ausgestattet. Die Technik ist – ganz im Sinne der Reduktion – in den Einbaumöbeln und Wänden versteckt. So gelingt es dem Entwurf, aus der lediglich zehn Meter bereiten Baulücke ein wahres Raumwunder mit einer BGF von 770 m² zu zaubern.

 


Das Bad ist ein nur 1,50 m breiter, schlauchartiger Raum, der in ein Hauptbad“ mit Dusche und Waschtisch und „Ruhebad“ mit der Wanne direkt vor der Fensterfront unterteilt ist.


 

 

Projektdaten:

Projekt: Wohnhaus an der Palmaille, Hamburg

Architektur: Walter Gebhardt Architekt, Hamburg

Bauherr: privat

 

 

Alle Bilder: © Jochen Stüber Fotografie, Hamburg


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