26. November 2024
Viel Glas an der Fassade bestimmt immer noch die Architektur des 21. Jahrhunderts. Was das Glas noch schöner macht, ist seine beachtliche Größe mit Längen von bis zu 20 Metern. Damit scheint jedoch nun das Maximum erreicht.
Von Barbara Jahn
Schon immer waren Fassaden aus Glas und große Fenster, die scheinbar nahtlos ineinander oder in ihre unmittelbare fließend übergehen, ein wichtiges Gestaltungsmittel in der Architektur. Begonnen hat dies in den 1980er Jahren, in denen die gläsernen Bauten nur so aus dem Boden schossen und eine neue Ära ankündigten. Mit der Zeit sind die Scheiben größer geworden, viel größer sogar, und damit auch die Herausforderungen. Sonnenschutz, Sichtschutz, Brandschutz, Temperaturregulierung, Sicherheit – eine ganze Reihe steht auf der Wunschliste, um den modernsten Anforderungen zu genügen. Und doch strebt man nach dem Maximum an Größe.
The House of Music in Budapest. © Saint Gobain – Thiele / Judit Nagy
Den perfekten Durchblick, Überblick und Ausblick zu haben ist in jeder Situation ein gutes Gefühl, und eines, das mit Fassadenglas im Extralarge-Format noch mehr an Bedeutung bekommt. Ganz gleich, ob bei Wohnbauprojekten oder Bürogebäuden, sind große Fensterflächen, die viel Tageslicht hereinlassen, neue Horizonte öffnen und die Perspektive erweitern, sehr gefragt. So haben sich einige Glashersteller unter anderem auf diese beeindruckenden Schiebenübergrößen spezialisiert und stellen sich damit allen Herausforderungen, die damit einhergehen. Denn in die multifunktionalen Glasarten im XL-Format können durchaus als eine Bereicherung zeitgemäßer Architektur angesehen werden, insbesondere im Sinne der Gestaltungsfreiheit für Architekten, die dadurch ganz neue Möglichkeiten an die Hand bekommen. So können nicht nur spektakuläre Gebäudehüllen damit entworfen werden, sondern auch einzelne Bereiche wie Eingangssituationen, Schaufenster oder Innenraumverglasungen wie Raumteiler oder Wandverkleidungen. Allen gemeinsam ist die gesamte Bandbreite von Licht und Energie, die sich über die großen Glasscheiben effizient einsetzen lässt.
Gebogenes Glas gehört immer öfter zu einer modernen Architekturgestaltung. © Sedak
Dünnglas mit einer Glasdicke von weniger als zwei Millimetern rückt vermehrt in den Vordergrund. Um die Glasdicke zu reduzieren und Ressourcen einzusparen, wird häufig gebogenes Glas eingesetzt. Es ist äußerst flexibel und kann mechanisch in gekrümmte Formen gebracht werden. Durch die Krümmung im Glas kann die Schalentragwirkung ausgenutzt und das Glas effizient bemessen werden. Dabei steht die Größe gar nicht mal mehr so im Fokus: So wird laut Experten ein Trend zu maximaler Qualität und gebogenem Glas anstatt zu noch größeren Formaten wahrgenommen. Vor allem die Bearbeitungsqualität und Transparenz der Gläser gewinnen zunehmend an Bedeutung, heißt es. Dabei gibt es allerdings auch Hürden zu überwinden: Stichwort Anisotropien. Diese entstehen während des thermischen Vorspannens und sind in der Regel kaum zu vermeiden. Sie zeigen sich meist als schimmerndes Muster im Glas – ein physikalisches Phänomen, das bei den Architekten eher unbeliebt ist. Gelingen kann das Eliminieren dieses Effekts durch einen speziellen Vorspannprozess. Doch es gibt noch mehr Innovatives: Seit kurzem sind die ersten multidimensional gebogenen, thermisch vorgespannten Glasscheiben auf dem Markt.
Gebogenes Glas gilt als sehr robust und belastbar. © Sedak
Zwar ist das Thema XL-Glas immer noch ein Nischenprodukt. Trotzdem springen immer mehr Architekten auf den Zug auf, weil sie an den fertiggestellten Projekten sehen, dass es funktioniert. Größer als ohnehin jetzt schon möglich wird es allerdings wohl eher nicht: Mit Längen zwischen 18 und 20 Metern scheint ein Maximum erreicht. Manche prognostizieren sogar einen eingelegten „Retourgang“, einen Trend, bei dem die Scheiben aktuell im Schnitt eher wieder etwas kleiner, nämlich mit Längen von 13 Metern, werden. Grund dafür ist vor allem, dass diese wirtschaftlicher produziert werden können. Zudem ist eine Realisierung extrem aufwendig ist und die Größen sind im Falle einer Reparatur nicht mehr zu bewerkstelligen, vor allem wenn das Objekt nach der Bauphase fertiggestellt ist und die Baustellenzufahrten für LKW und Kran abgebaut sind. Dann kann es problematisch sein, Reparaturen oder Erweiterungen vorzunehmen, da man solche übergroßen Isolierglaseinheiten, die über das europäische Normmaß von 6 mal 3,21 Metern hinausgehen, nur noch schwer bewegen und verglasen. All das ist nur mit einem extremen Sonderaufwand zu bewerkstelligen, und damit auch die Sinnhaftigkeit solcher großen Isoliergläser zu hinterfragen.
In London wurde das Gebäude „The Shard“ mit Riesenscheiben ausgestattet. © AGC Interpane
Um als Verarbeiter diese Übergrößen bestmöglich ein- und verbauen zu können, bieten die einzelnen Hersteller spezielle Unterstützung unterschiedlichsten Formen an. So werden mit speziellen LKWs Sondertransporte für überlange Scheiben organisiert, aber auch kompetente Partnerbetriebe – in der Regel spezialisierte Glas- und Metallbauunternehmen – empfohlen, die auf den Umgang mit übergroßen Gläsern spezialisiert sind und über einen entsprechenden Fuhrpark mit Hebegeräten, Kränen, Tiefladern, Saughilfen etc. verfügen. Damit aus der kreativen Vision architektonische Realität wird, wird in der Glasindustrie auf jeden Fall bis zum Ende gedacht.
Kleiner und doch mit großer Wirkung: Glasscheiben bis zu acht Metern machen ebenfalls Eindruck. © Vandaglas Eckelt